Dienstag, 27. August 2013

Meret Oppenheim im Martin-Gropius-Bau

Von Elke Linda Buchholz - Wo ist die legendäre Pelztasse? Meret Oppenheims berühmtester Coup fehlt in der großen Retrospektive zum 100. Geburtstag. Ihr selbst wäre das vielleicht ganz recht gewesen. Dass alle Welt ihren Namen noch Jahrzehnte später immer nur auf dieses eine geniale Unikat reduzierte, nervte die Künstlerin. Beharrlich weigerte sie sich, die Pelztasse als Multiple herauszugeben.

Als Alfred Barr das mit chinesischem Gazellenfell gefütterte Frühstücksset 1936 in einer Pariser Galerie entdeckte, verfrachtete er es sofort ins Museum of Modern Art in New York. Das haarige Ambivalenzobjekt, das hinterlistig mit Berührungslust und Ekel des Betrachters spielt, wurde zu einer Ikone des Surrealismus. Aus einem Augenblickseinfall im Café geboren, verkörperte das Objekt der 23jährigen Künstlerin perfekt die surrealistischen Methode, Zufall und Unterbewusstes als Ideenquell anzuzapfen.

 Ihr früher Ruhm als blutjunge, rebellische Muse im männerdominierten Pariser Surrealistenzirkel stürzte die 1913 in Berlin geborene Arzttochter in den späten Dreißiger Jahren in eine tiefe Identitätskrise und Schaffensblockade. Ihr in der Ausstellung gezeigtes Gemälde "Steinfrau" findet ein Bild dafür: Der Körper der Protagonistin liegt, nur mehr ein loser Haufen Kiesel, am öden Meeresstrand. Erstarrt, wie tot. Nur die Beine baumeln zierlich in Schuhen und Strümpfen im Wasser. Wieviel Leben, Schaffensenergie, Eigensinn und Widerspruchsgeist noch in Meret Oppenheim steckte, als ab 1954 die Last der Depression wich, lässt sich in der immens materialreichen Ausstellung erkunden.

Neugierig und offen testet die Künstlerin unzählige Materialien und Techniken und scherte sich nicht im geringsten um die Wiedererkennbarkeit ihres Oeuvres. Fast scheint es, als fürchte sie sich davor, auf eine einzige Identität reduziert zu werden. Sie befasst sich mit der mythischen Genoveva, zeichnet sich als 25jährige mit dem Antlitz einer Greisin, tuscht sich lächelnd als Kentaur aufs Blatt und posiert als Schamanin mit aufgemalter Gesichtstätovierung. Sie lässt einen weiblichen Würgeengel mit totem Kind im Arm auftreten oder erstellt ein Selbstbildnis per Röntgenbild: bis auf die Knochen durchleuchtet samt extravagantem Ohrring und Fingerschmuck.

Ihre Auseinandersetzung mit den romantischen Dichterinnen Karoline von Günderode und Bettine von Arnim mündet 1983 in ein großformatiges abstraktes Bilderpaar, das am Beginn der Ausstellung steht. Große, scharfgeschnittene Farbquadrate schweben darin über nebligen Wassern und scheinen die Klarheit des Geistes ebenso wie das Zwischenreich des nicht rational Ergründbaren zu veranschaulichen. Ein schwarzes Boot deutet den Aufbruch ins Ungewisse an. Immer wieder suchte Oppenheim das Archaische, das Mythische, findet sich darin durch C. G. Jungs psychoanalytische Theorien bestätigt. Dessen Schriften wurden bereits in ihrem Elternhaus diskutiert. Viele ihrer Werke gründen in Traumerlebnissen. Ganz bewusst, denn: "Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft."

1928 beginnt sie ein Traumtagebuch zu führen, das sie bis zu ihrem Tod fortschreibt. Auszüge daraus und aus ihren Gedichten sind in die thematisch geordnete Ausstellung zwischen Gemälde, Zeichnungen, Objekte und Skulpturen eingestreut: Gleichberechtige Splitter aus Oppenheims kreativem Kosmos. Schon an ihrer Wiege stand die Literatur Pate. Ihren Namen leiteten die Eltern aus Gottfried Kellers Roman "Der Grüne Heinrich" ab. Darin ist das schöne "Meretlein" ein unbezähmbares Kind, dass man für eine Hexe hält. Auch die in der Schweiz aufgewachsene Meret Oppenheim schert schon als Kind aus braven Regularien aus. In ein Schulheft notiert sie die absurde Gleichung "x = Hase". Mit 15 Jahren steht fest, dass sie Künstlerin werden will. Mit 18 geht sie nach Paris und kommt über Alberto Giacometti und Hans Arp mit den Surrealisten in Kontakt. Unbefangen lässt sie sich von Man Ray nackt an der Druckerpresse fotografieren: Eines ihrer berühmtesten Porträts entsteht, das in der Surrealisten-Zeitschrift "Minotaure" publiziert wird. Die surrealistische Venus weist provokant ihre mit Druckerschwärze beschmierte Hand vor und signalisiert so: Wen ich umarme, auf dessen Leib hinterlasse ich Spuren.

Eine stürmische Affäre mit Max Ernst beendet Meret Oppenheim 1935 nach einem Jahr abrupt. Er dichtete kurz darauf zu ihrer Soloausstellung: "Wer überzieht die Suppenlöffel mit kostbarem Pelzwerk? Das Meretlein. Wer ist uns über den Kopf gewachsen? Das Meretlein." Die Verniedlichung passte ihr natürlich gar nicht. Jahre später revanchierte sie sich, indem sie ein Collagemotiv, die sie ihrem Lover 1934 gewidmet hatte, als Schmuckstück in Gold und Edelsteinen ausführen ließ. Ihr Titel: "Husch, husch, der schönste Vokal entleert sich." 

Ein ganzer Raum ist Oppenheims lustvollem Crossover zwischen Mode und Kunst gewidmet. Hier sind einige ihrer schönsten Arbeiten versammelt. Zum Broterwerb hatte sie in Paris für die Modedesignerin Elsa Schiaparelli ihre ersten eigenwilligen Entwürfe gezeichnet. Ein Handschuhpaar aus weichem Leder kehrt das Geflecht der Blutadern nach außen. Ein Schmuckentwurf legt ein winziges Ei ins goldene Nest und platziert das miniaturfeine Ensemble in der Ohrmuschel der Trägerin. Ein Armband aus zierlichen Knochengliedern klirrt als elegantes Memento Mori an der Hand. Geradezu perfide verkörpern zwei an den Spitzen zusammengewachsene Lederstiefeletten die Ambivalenzen der Liebe. Sie verschmelzen in einem innigen Kuss und sind fortan bewegungsunfähig aneinandergefesselt. Kein Schritt mehr voran.

Als Meret Oppenheim in den 70er Jahren wiederentdeckt wird, wirkt sie auf einmal wie die Grande Dame aktueller Genderdebatten. Sie tritt mit einer kämpferischen Rede zur Gleichberechtigung der Frau in der Kunst hervor, lässt sich von der feministischen Videokünstlerin Valie Export interviewen. Aber gegen die Idee einer weibliche Ästhetik verwahrt sie sich entschieden. Große Kunst, so betont sie, habe keine Geschlechtsmerkmale.

Martin-Gropius-Bau, bis 1.12.2013, Mi-Mo 10-19 Uhr, Di geschlossen,
Online-Tickets unter www.gropiusbau.de

Der Katalog Meret Oppenheim. Retrospektive ist im Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet im Museum 25 €, im Buchhandel 39,80 €. 

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 26. August 2013

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