Von Michael Bienert - Erich Kästners Großstadtroman
Fabian ist gebaut wie eine Nummernrevue. Die Hauptfigur irrt von Kapitel zu Kapitel durch Kneipen, Vergnügungssäle, Bars, Büros, landet auf dem Kreuzberg, in einer Zeitungsredaktion, einem Rummelplatz und in den Betten lüsterner Berlinerinnen. Dabei begegnet er frustrierten Redakteuren, abgebrühten Ehemännern, Pennern und der großen Liebe. So plötzlich sie gekommen ist, so schnell ist sie wieder weg. Der beste Freund schießt sich wegen eines dummen Scherzes eine Kugel durch den Kopf und auch den Job verliert Jakob Fabian: Entmutigt verlässt er Berlin und stirbt in seiner Heimatstadt Dresden, als er versucht, ein Kind vor dem Ertrinken in der Elbe zu retten.
Erich Kästner wollte das Lebensgefühl Berlins und seiner jungen Generation in der Weltwirtschaftskrise einfangen, als er den Roman 1931 schrieb. Es passiert ständig was, es wird intensiv gelebt und geliebt, aber das Leben dreht sich im Kreis, die Wirtschaft trudelt bergab und der gesellschaftliche Zusammenhalt wird immer brüchiger. Jakob Fabian ist ein begabter junger Mann, doch ihm fehlt ein Ziel, und so vertreibt er sich die Zeit mit Feldstudien in der Großstadt. Die Erfahrungen im Berlin der Dreißigerjahre, die Kästner in seinen Roman eingearbeitet hat, sind nicht weit weg von denen junger Leute im heutigen Berlin. Im Studio der Schaubühne hat Peter Kleinert den Stoff mit sieben jungen Schauspielstudenten der Hochschule "Ernst Busch" fürs Theater inszeniert. Spielend gelingt es ihnen, die Aktualität des Buches zu entschlüsseln, indem sie ihre eigenen Erfahrungen in den Betten, Clubs, Jobs und Hochschulen in die Inszenierung einbringen, sei es in den zahlreichen Rollen und Szenen, sei es im Dialog mit den Zuschauern.
Flott und kurzweilig ist dieser zweistündige Großstadtbilderbogen mit Gesangseinlagen. Für Tempo sorgt auch die Bühne von Peter Schubert, eine drehbare graue Wand, die von den Schauspielern angeschoben wie eine Drehbühne funktioniert und blitzschnelle Ortswechsel ermöglicht. Die vielen Rollen geben den Schauspielern reichlich Gelegenheit zu zeigen, was sie nach drei Jahren harter Ausbildung drauf haben: absolut professionelles Handwerk, beseelt von der Lust daran, durch die Inszenierung hindurch etwas vom eigenen Lebensgefühl zu erzählen. Jakob Fabian (Timocin Ziegler) ist ein netter Junge, der sich mehr aus Neugier von Frauen verführen lässt und dem der Biss fehlt, selber mehr aus seinem Leben zu machen. Sein Freund Labude (Tim Riedel) als studentischer als studentischer Weltverbesserer findet sich im wirklichen Leben einfach nicht zurecht, anders als die resolut auf Männerfang gehende Irene Moll (Janine Meißner). Llewellyn Reichman als Cornelia Battenberg ist eine prima Besetzung als Traumfrau von nebenan, die den Verlockungen einer großen Filmkarriere nicht widerstehen kann, obwohl sie sich dafür prostituieren muss. Stella Hinrichs stöckelt als durchgeknallte Theaterkritikerin durch den Abend, Gregor Schulz und Floran Donath sind in herrlich schrägen Kleinrollen als Journalisten, Direktor oder Erfinder dabei. Was sie auf der kleinen Werkstattbühne zeigen, würde jedem Stadttheater zur Ehre gereichen - so dass man sich um den weiteren Berufsweg der jungen Leute, die sich derzeit noch mit 80 Euro Gage pro Abend zufrieden geben müssen, eher keine Sorgen machen muss. Fabians Untergang zuzusehen, ist ein großes Vergnügen.