Samstag, 27. Februar 2016

Die Wohnungsfrage und die Gründung von Groß-Berlin im Jahr 1920. Eine Tagung der Henselmann-Stiftung

Eine Antwort auf Mietskasernenelend und Wohnungsnot:
Bruno Tauts Wohnstadt "Carl Legien" gehört heute
zum UNESCO-Weltkulturerbe
"Ein Jahrhundertereignis" nennt der Stadtplaner Harald Bodenschatz die Gründung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin im Jahr 1920, und zumindest mit Blick auf die Stadtgeschichte stimmt das auch. Die Verwaltungsgrenzen der Stadt haben sich seither nur unwesentlich verändert, die Berliner orientieren sich immer noch anhand der damals geschaffenen 20 Bezirke in ihrer Stadt, auch wenn diese teilweise zu größeren Einheiten fusioniert wurden. Mit der Eingemeindung mehrerer Großstädte, etlicher Landgemeinden und Gutsbezirke vergrößerte sich das Gebiet der Berliner Stadtverwaltung 1920 auf das Dreizehnfache, die Einwohnerzahl verdoppelte sich auf über vier Millionen. Damit war der Weg frei für eine besser koordinierte Stadt- und Verkehrsplanung, insbesondere die Bekämpfung der Wohnungsnot und des Wohnungselends.
Vor dem Ersten Weltkrieg entschieden die Standortwahl der Industrie, die Bodenspekulation und die Rivalitäten zwischen den Einzelgemeinden im Großraum Berlin darüber, wo Mietskasernen für Arme oder Villenviertel als Steueroasen für Wohlhabende entstanden. Nach Schaffung der Einheitsgemeinde war es möglich, planvoll sozialen Wohnungsbau auf Flächen zu betreiben, die der Kommune außerhalb des S-Bahn-Rings zur Verfügung standen.
Vom "goldenen Zeitalter der Wohnungsbaupolitik" sprach die Linken-Politikerin Katrin Lompscher heute auf dem 12. Hermann-Henselmann-Colloquium im ehemaligen Preußischen Landtag, wo 1920 das Groß-Berlin-Gesetz verabschiedet wurde. Zwar sind es bis zum 100. Jubiläum noch ein paar Jahre, doch schon jetzt findet es die Hermann-Henselmann-Stiftung an der Zeit, dieses historische Ereignis auf seine Voraussetzungen und Folgen zu befragen. Sie plant weitere Symposion bis zum Jahr 2020, die sich der "Verkehrsfrage" (2017), der "Grünfrage" (2018) und der "Planungskultur" (2019) widmen sollen, um dann in eine Abschlusskonferenz zu "Perspektiven für die Hauptstadtregion" (2020) zu münden. An eine "neue Epoche der Stadtentwicklung" glaubt Mitorganisator Thomas Flierl. Zum Auftakt der Tagungsserie stand die plötzlich wieder brennend aktuell gewordene "Wohnungsfrage" auf dem Programm. Angesichts einer unerwartet stark wachsenden Bevölkerung sieht sich der Berliner Senat heute vor ähnlichen Herausforderungen wie der Magistrat in der Zeit zwischen den Weltkriegen.
Was damals aus der (Wohnungs-)Not geboren wurde, ist durchaus ermutigend, hat Schule gemacht und gehört heute - wie die Hufeisensiedlung in Britz, die Weiße Stadt oder die Ringsiedlung - zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Chance, an diese Tradition anzuknüpfen, ist gegeben, trotz der Drucks, bis 2030 etwa 300.000 Wohnungen neu zu bauen, die sich die Berliner auch leisten können. Nach dem Ersten Weltkrieg war der Druck erheblich höher, etwa 300.000 Berliner hausten damals in Lauben und anderen Notquartieren. "Wir haben heute einen Engpass, aber keine Wohnungsnot wie vor 100 Jahren", sagte Maren Kern vom mächtigen Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen auf der Konferenz. Sie glaubt die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen gut aufgestellt, sieht Probleme eher in bürokratischen Hindernissen, in überzogenen gesetzlichen Auflagen, bei der Versorgung mit preiswertem Bauland und in der Akzeptanz: "Die Zustimmung zum Neubau in der Bevölkerung muss wachsen."

Donnerstag, 18. Februar 2016

Paul Graupe – ein Berliner Kunsthändler zwischen Nationalsozialismus und Exil

Seine Auktionen verglich die Presse mit Theaterpremieren. 160 Versteigerungen zwischen 1916 und 1937 mit Werken eines Rubens, Rembrandt oder Tiepolo, Corot, Menzel und Liebermann führte der Berliner Auktionator Paul Graupe durch. Er war einer der „prominenten Protagonisten“ des Berliner Kunsthandels der Weimarer Zeit und hatte mit der Machtergreifung der Nazis eine Sonderstellung unter den jüdischen Kunsthändlern inne. Aufgrund seines nationalen wie internationalen Renommees wurde er 1933 nicht aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen, sondern konnte bis 1937 weiterarbeiten. In diesen vier Jahren veräußerte er in großem Umfang jüdischen Kunstbesitz und fungierte so für das Naziregime als Devisenbeschaffer. 1937 aber musste auch er emigrieren. Und dennoch ist diese schillernde Persönlichkeit des Kunsthandels in Vergessenheit geraten. Erst intensive Forschungen von Patrick Golenia am TU-Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne, das von der Leibniz-Preisträgerin Prof. Dr. Bénédicte Savoy geleitet wird, rückten die von vielen Widersprüchen gekennzeichnete Arbeit des Auktionators in den Fokus.