Christian Walther: Des Kaisers Nachmieter, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2021, 184 Seiten, 151 Abbildungen ISBN: 978-3-947215-28-7, 25 €
Montag, 31. Mai 2021
Das Schloss der Republik
"Jahrzehntelang haben Monarchisten und Kommunisten gleichermaßen behauptet, das Schloss sei das Schloss der Hohenzollern gewesen. Es ist an der Zeit, daran zu erinnern, was es seit der Revolution wirklich gewesen ist: das Schloss der Republik", schreibt Christian Walther in seiner illustrierten Geschichte des Berliner Stadtschlosses, das 1950 abgerissen wurde und als Humboldt-Forum inzwischen wiederauferstanden ist. Mit einem erfrischenden Kunstgriff erzählt der Journalist die Geschichte des Hohenzollernpalastes aus der Perspektive von neun Frauen, die von 1918 bis zum Abriss in dem Gebäude arbeiteten. Die Physikerin Lise Meitner hielt im Schloss Vorträge für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wisssenschaften, deren Generalverwaltung im Schloss untergebracht war; wie auch angegliederte Institute, in denen etliche junge Wissenschaftlerinnen beschäftigt waren. Eine von ihnen, Marguerite Wolff, publizierte nicht nur zum Völkerrecht, sondern mit einem Co-Autor einen Leitfaden für Autofahrer, ehe sie 1933 als Jüdin ihre Stelle verlor und ins Exil ging. Die Österreicherin Eugenie Schwarzwald funktionierte in der Inflationszeit die Schlossküche für die Speisung von Bedürftigen um, und die Reichstagsabgeordnete Marie-Elisabeth Lüders setzte sich dafür ein, dass Studentinnen sich in einer Wohnung im Schloss tagsüber entspannen und ungestört arbeiten konnten. Vor dem Abriss erhielt die Fotografin Eva Kemlein den Auftrag, die Kriegsruine umfassend zu dokumentieren. Viele unbekannte und überraschende Aspekte der Nutzungsgeschichte des Schlosses hat Christian Walther ausgegraben, die sich mit der Zukunft seines Wiedergängers als Humboldt-Forum berühren. Schon in der Weimarer Republik war das Schloss Sitz der Deutschen Forschungsgemeinschaft und damit ein Ort des Wissens und der Wissenschaften; auch der Deutsche Akademische Austauschdienst hatte dort seine Zentrale. Es gab nicht nur das Schlossmuseum, in vielen Räumen zeigte die Weimarer Republik ein junges, modernes, aufgeklärtes und vielfach weibliches Gesicht.
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