Wie sieht Berlin aus der Perspektive eines An-den-Rand-Gedrängten aus, wie fühlt es sich an, nicht in der Mitte der Gesellschaft ankommen zu können? Davon erzählt die Neuverfilmung von Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“, die in der Gegenwart spielt, aber der Geschichte von Franz Biberkopf treu bleibt.
Von Michael Bienert. Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ macht es heutigen Leserinnen und Leser nicht leicht. In der literarisch inszenierten Vielstimmigkeit der Großstadt der Zwanzigerjahre die Übersicht zu behalten, ist schon schwer genug. Die Geschichte des Kleinkriminellen und Zuhälters Franz Biberkopf droht darin zu zerfasern. Dabei ist sie sehr exakt im damaligen Milieu und der Topographie um den Alexanderplatz verankert, ja man kann Biberkopfs Wegen sogar nachgehen. Doch der Charakter der Gegend und ihrer Bewohner hat sich völlig verändert: War das Scheunenviertel einst Synonym für Armut, Kriminalität, Prostitution, so ist es heute nur noch eine pittoreske Altstadtkulisse für Touristen, Nachtschwärmer und wohlhabende Besitzer von Eigentumswohnungen.
Unvertraut sind uns auch die (natur-)philosophischen Reflexionen Döblins, die in der Geschichte von Franz Biberkopf mitschwingen, sozusagen ihr metaphysischer Überbau. (Döblin hätte eher vom Unterbau gesprochen.) Die Interpretationen des vielschichtigen Romans gehen weit auseinander und vielfach laufen sie darauf hinaus, das ausufernde Werk in Teilen für genial, in anderen für unverständlich, verblasen, uninteressant oder kolportagehaft zu erklären.
Die Komplexität eines 90 Jahre alten Avantgarde-Romans, der in einer verschwundenen Stadt in einem ausgelöschten Milieu spielt, ist nicht verfilmbar, das haben der Regisseur Burhan Qurbani und sein Co-Drehbuchautor Martin Behnke erkannt. Sie haben eine klare Konsequenz daraus gezogen. Der Film konzentriert sich voll und ganz darauf, die Geschichte von Franz Biberkopf in unsere Gegenwart zu übersetzen. Anders als der sperrige Roman kommt die Verfilmung dem Publikum weit entgegen: mit einer Handlung, die im heutigen Berlin spielt, mit einem farbigen Francis B., der sich als illegaler Einwanderer aus Afrika in der Unterwelt Berlins durchschlägt, mit einer schlanken Dramaturgie und streckenweisen opulenten Filmästhetik.
Aber der Film verrät die Vorlage damit nicht, im Gegenteil. Zwar bleibt die Komplexität der großen Stadt, von der Döblins Stadtsprachencollage erzählt, außen vor. Dafür wird die Geschichte von Franz Biberkopf hier überraschend durchsichtig – auch auf Intentionen des Autors hin. Döblin wollte den Blick des bürgerlichen Lesepublikums auf einen Mann vom Rand der Gesellschaft lenken, der dazu gehören möchte: „Ick will anständig sein.“ Der aus der Haftanstalt Tegel entlassene Biberkopf wird von dem Milieu, aus dem er stammt, sofort wieder aufgesogen, rutscht in die Kriminalität ab. Im Film schwört der dem Tod im Mittelmeer entkommene Francis, fortan gut zu sein, er scheitert mit diesem Vorsatz jedoch immer wieder in Milieus, in denen das Gesetz des Stärkeren und gnadenlose Ausbeutung herrschen. Was für den alten Franz Biberkopf das Scheunenviertel war, wird für den neuen das Drogendealermilieu in der Hasenheide. Es fängt ihn auf, als er seinen ersten Job als illegaler Arbeiter auf einer Berliner U-Bahn-Baustelle verliert, nachdem er einen verletzten Kollegen in ärztliche Behandlung gegeben hat, statt den Unfall zu vertuschen.
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Freitag, 24. Juli 2020
Montag, 6. Juli 2020
John Heartfields Berlin - ein Streifzug
John-Heartfield-Ausstellung in der Akademie der Künste |
Das Adressbuch „Künstlerspuren“ von Detlef Lorenz nennt als Ort der Beinahe-Verhaftung das Haus Bleibtreustraße 7, am S-Bahnhof Savignyplatz gleich neben der Stadtbahn. Die alten Berliner Adressbücher verzeichnen keinen Heartfield oder Herzfeld, wie er bürgerlich hieß, nur den Bruder und Malik-Verleger Wieland Herzfelde, der am Kurfürstendamm 76 wohnte. In der Bleibtreustraße 7 gab es mehrere Künstlerateliers und einen Friseur – das alles passt schon.
Heute erinnern fünf Stolpersteine vor dem Haus an die Familie des Diamantenhändlers Abraham Wysniak, dessen Frau Dvora und Tochter Asta im Warschauer Ghetto starben. An der Bleibtreustraße 15 hängen Gedenktafeln für den 1933 vertriebenen Kunsthändler Alfred Flechtheim und die Schauspielerin Tilla Durieux. Und an der Nummer 10/11 gibt es den Hinweis auf die „alte Wunde, unvernarbt“ Mascha Kalékos, die 1974 in ihrem Gedicht „Bleibtreu heißt die Straße“ schrieb: „Hier war mein Glück zu Hause. Und meine Not. / Hier kam mein Kind zur Welt. / Und mußte fort. / Hier besuchten mich meine Freunde / Und die Gestapo.“ Eine Gedenktafel für John Heartfield würde die Betextung der Bleibtreustraße gut ergänzen. Weiterlesen
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