Montag, 27. August 2018

Bildhauer mit Beduinenzelt: Gedenktafel für Jussuf Abbo

Jussuf Abbo
Foto: Wikimedia Commons
Von Elke Linda Buchholz - Jussuf Abbo. Ein Name, den man nicht so schnell vergisst. Aber wer war er? Die Kunstgeschichte gibt eine Vermisstenanzeige auf. Aus dem Gedächtnis Berlins ist der Bildhauer, der einst aus Safed in Palästina hier anlangte, nahezu spurlos verschwunden. Jetzt kehrt er zurück. Diese Woche wird eine Gedenktafel für ihn am Reichpietschufer 92 enthüllt. Aber das Haus, in dem der Bildhauer viele Jahre werkelte, steht nicht mehr. Und schon mit der Beschriftung der Gedenktafel fangen die Probleme an, seufzt Dorothea Schöne. Die Leiterin des Kunsthauses Dahlem hat sich an Abbos Spuren geheftet. In tausend Richtungen laufen die Fäden. Sie weben einen bunten Teppich mit geheimnisvoll schillernden Erinnerungsmustern, der mehr Lücken und Leerstellen als belastbare Stellen liefert. Wurde der Künstler nun 1890 geboren oder 1888, 1889 oder "im Jahr der großen Dürre", wie ein Nachkomme erzählte? Dokumente fehlen. Damals gehörte Abbos Geburtsort Safed, ein uraltes Zentrum des Kabbalismus, zum Osmanischen Reich. Heute liegt die Region in Israel. Als das Osmanische Reich von der Weltkarte verschwand, wurde Jussuf Abbo staatenlos. Ihn kümmerte das erstmal wenig. Was braucht man Papiere, wenn man künstlerisch arbeiten kann und die Dinge gut laufen...
Spätestens 1913, vielleicht auch schon 1911, war der junge Mann mit den markanten Gesichtszügen und den störrischen schwarzen Haaren in der Stadt eingetroffen. Die Matrikel der Kunsthochschule am Steinplatz verzeichnet ihn als Studenten. In Palästina war sein Talent einem deutscher Architekten namens Otto Hoffmann aufgefallen. Der empfahl ihm Berlin. Ab 1919 geht es für den begabten jungen Künstler Schlag auf Schlag: Paul Cassirer und Alfred Flechtheim, Ferdinand Möller und I.B. Neumann, die maßgeblichen Galeristen der Moderne zeigen seine Arbeiten. Abbos sensibel und zugleich formstreng modellierte Frauenköpfe fallen auf. In den Papierarbeiten erlaubt er sich expressivere Gesten, umreißt vehement weibliche Körper, markiert heftige Konturen. Konzentriert modelliert er den Porträtkopf des Kunsthistorikers Max J. Friedländer, formt Masken in Silber, in Kunststein, in Gold. Auch außerhalb Berlins ist der Künstler bald präsent: Hannover, Chemnitz, Frankfurt, Dresden, Mannheim, Prag, sogar Oakland verzeichnet die Ausstellungsliste, an der Dorothea Schöne arbeitet. Aber auch hier ploppen viele Fragezeichen auf. Jede einzelne Erwähnung muss überprüft werden, eine Sisyphosarbeit anhand alter Kunstzeitschriften und Kataloge. Das Zeitgeistmagazin "Der Querschnitt" druckt 1924 ein Selbstbildnis Abbos, mit wild ausfahrendem Strich und ruhig-dunklem Blick. In einem Atemzug mit Heckel, Barlach, Lehmbruck wird der Bildhauer genannt. Die ersten Museen kaufen Zeichnungen und grafische Arbeiten an.
 "Nun sitze ich in einer Conditorei am Lützowplatz warte auf den Galiläer Jussuf ... Abbo ist schwarz und temperamentvoll und trägt ein weißes (Herz) in der Brust und blieb unverdorben in diesem Lande in dieser Stadt der Hast und des Zertretens," notiert Else Lasker-Schüler am 29. November 1920 in einem Brief. Irgendwo im Berliner Kulturbetrieb sind die beiden sich begegnet: die in Wuppertal geborene Dichterin, die sich in eine jüdisch-orientalische Märchenexistenz hinwegträumt und der "Galiläer", der in seinem Berliner Atelier am Landwehrkanal ein Beduinenzelt aufspannt. Und sich erst in Berlin Jussuf statt Joseph nennt.
Die Wortkünstlerin und der Bildhauer kommen sich nah, man verreist zusammen, man richtet sich Grüße aus. Ihre herben Züge erkennt man auf Zeichnungen von ihm wieder, sie zeichnet sein Porträt in schimmernden Worten: "Jussuff Abbu. Er ruht auf seinem niederen Diwan wie im Elternhaus. Das steht in Safeth unter schwärmerischem Himmel ... Fromm leben Jussuff Abbus Steingeschöpfe. Sorgfältig forschen muß man ihren Wert ... Als Kind ritt er auf wildem Pferde mit den Stämmen." Auf Abbos "niederem Diwan" muss Lasker-Schüler sich wohlgefühlt haben. Sie mietete Abbos orientalisch ausstaffiertes Atelier mit dem Beduinenzelt an, um dort ihren todkranken Sohn zu pflegen. Später zerstritt man sich, Mietstreitigkeiten. Müsste nicht irgendwo ein Foto dieses Ateliers schlummern? Dorothea Schöne ist optimistisch. Manchmal melden sich Sammler bei ihr, verschollene Werke tauchen plötzlich wieder auf. Einer der eifrigsten Forscher auf Abbos Spuren ist der in Berlin lebende Künstler Said Baalbaki, der selbst aus dem Nahen Osten stammt. In England hüten Abbos Enkel den Nachlass. Viel ist es nicht, was er ins Exil retten konnte, passt in ein paar Mappen und auf wenige Regalbretter. Es sind Bruchstücke eines Werkes, über dessen stilistischer Entwicklung sich heute nur noch schwer eine Aussage gewinnen lässt. Daten fehlen, Motive müssen für sich selbst sprechen. Aber eines fällt auf: es gibt keine Affinität zu jüdischen Themen, auch keine Orientalismen in Stil und Motiv bei Jussuf Abbo. In Berlin hatte er als anerkannter Vertreter der figürlichen Moderne der 20er Jahre seinen Platz gefunden. Dann kam 1933.
Mit knapper Not gelingt es dem Bildhauer und seiner hochschwangeren jungen Frau schließlich nach England zu entkommen. Ein erster Ausreiseversuch Abbos scheitert an der holländischen Grenze. Dass der Künstler keine Ausweispapiere hat, wird ihm nun fast zum Verhängnis. Schließlich rettet ihn ein Pass, der gefälscht und zugleich absolut echt ist: Die ägyptische Botschaft in Berlin bescheinigt Jusso Abbo, dass er ägyptischer Staatsbürger sei. Das war er nie. Aber das rettende Dokument existiert bis heute. Ein wirklicher Neustart in London gelang ihm nicht. Mittellos und getrennt von seinen Werken, die erst Jahre später aus Hamburg eintreffen, schlägt er sich und seine Familie mit Hilfsjobs unter schwierigsten Existenzbedingungen durch. Aus Verzweiflung vernichtet Abbo später viele Werke, zumal es ihm an Stauraum mangelt. Er hat lange kein Atelier, kein Arbeitsmaterial, kaum Aufträge. Bitter.
1953 ist Jussuf Abbo in England gestorben. Jetzt entschloss sich seine Familie zu einer großzügigen Versöhnungsgeste. Die Berlinische Galerie, das Sprengel Museum Hannover und das Jüdische Museum Berlin erhalten jeweils ein Konvolut Grafiken zum Geschenk. Dies ist ein erster Schritt, um Jussuf Abbos Name wieder im kulturellen Gedächtnis zu verankern: Dort wo er hingehört. Der nächste wäre eine Ausstellung seiner Werke hier in Berlin.

Eine Gedenktafel wird am 29. August 2018, 16.30 Uhr, am Reichpietschufer 92 enthüllt.

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