Mittwoch, 21. August 2013

Mehr Platz für die Moderne!

Die Neue Nationalgalerie soll erweitert werden.
Fotos von dem favorisierten Baugrundstück hier.


Die Spatzen zwitscherten es schon von den Dächern, seit Mittwoch ist es offiziell: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gibt ihre Pläne auf, eine neue Gemäldegalerie für die Alten Meister neben der Museumsinsel zu bauen. Statt dessen soll Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie am Kulturforum in etwa zehn Jahren einen Erweiterungsbau bekommen, um die Kunst des 20. Jahrhunderts in der Hauptstadt angemessen zu präsentieren. Momentan sind wichtige Bilder aus der Zwischenkriegszeit von Malern wie Otto Dix und George Grosz ins Depot verbannt, weil es an Ausstellungsfläche fehlt.

Mit ihrem Kurswechsel zieht die Stiftung die Konsequenz aus dem heftigen Berliner Museumsstreit des vergangenen Jahres. Auslöser war eine Finanzspritze von 10 Millionen Euro, die Kulturstaatsminister Bernd Neumann beim Haushaltausschuss des Bundestages locker gemacht hatte. Mit dem Geld sollte möglichst rasch die Umgestaltung der Gemäldegalerie am Kulturforum zu einer Galerie des 20. Jahrhunderts in Angriff genommen werden. Denn ohne konkrete Aussicht auf ein großes Museum der Moderne droht Berlin ein dicker Fisch durchs Netz zu schlüpfen: Die auf 150 Millionen Euro Marktwert geschätzte Surrealistensammlung des Sammlerehepaares Pietzsch wird die Preußenstiftung nur geschenkt bekommen, wenn es eine realistische Perspektive gibt, diese Werke zusammen mit der Sammlung der Neuen Nationalgalerie dauerhaft auszustellen.

Die heutige Gemäldegalerie am Kulturforum ist erst 1998 eröffnet worden. Mit ihren Oberlichtsälen und ihrer gediegenen Ausstattung ist sie exakt darauf berechnet, die Alten Meister optimal zur Geltung zu bringen. Trotzdem verfolgte die Preußenstiftung schon lange den Plan, die Werke von Rembrandt oder Rubens in die Nähe des Bode-Museums zu verlagern und dort Skulptur und Malerei zusammenzuführen. Die Aussicht auf ein rasche Räumung der jetzigen Gemäldegalerie und eine jahrelange Interimspräsentation der Sammlung löste indes einen Sturm der Empörung aus: So fand eine von dem Kunsthistoriker Jeffrey Hamburger angestoßene Onlinepetition zugunsten des Status quo weltweit fast 15 000 Unterstützer.

Um die Gemüter zu beruhigen und die Diskussion zu versachlichen, gab die Stiftung im Oktober 2012 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die verschiedene Varianten einer Neuordnung der Museumslandschaft evaluieren sollte. Damit beauftragt wurde das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Auf 800 Seiten legte es im Frühjahr seine Berechnungen vor, die ab sofort auch online eingesehen werden können. „Wir wollen uns um maximale Transparenz bemühen“, versicherte Stiftungspräsident Hermann Parzinger reumütig und räumte Fehler bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit im vergangenen Jahr ein. Allerdings wurde die Studie erst einmal monatelang unter Verschluss gehalten, weil die Museumsleute das Ergebnis verdauen mussten.

Nach den Berechnungen des Bundesamtes würde alleine die Umrüstung der heutigen Gemäldegalerie zum Museum für das 20. Jahrhundert fast 60 Millionen Euro kosten und über sieben Jahre dauern. Dazu kämen die Kosten für einen Neubau neben der Museumsinsel, zusammen 374 Millionen Euro. Darin wäre eine  angemessene Interimspräsentation der Alten Meister noch nicht enthalten. Das heißt: Die von der Stiftung bisher favorisierte Ideallösung würde mindestens 400 Millionen kosten, zuzüglich der Preissteigerungen der kommenden Jahre.

Daran festzuhalten sei angesichts zahlreicher anderer vom Bund finanzierter Bauvorhaben der Stiftung „nicht realistisch“, so klipp und klar Hermann Parzinger bei der gestrigen Pressekonferenz. Statt dessen favorisiert er nun eine Variante, die eigentlich nur auf Druck der Öffentlichkeit ins Prüfprogramm aufgenommen worden war. Am Kulturforum gibt es gleich drei mögliche Bauplätze für eine neue Galerie des 20. Jahrhunderts. Besonders günstig erscheint eine Fläche gleich hinter dem Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie, die sich im Besitz der Stiftung und des Landes Berlin befindet. Würde dort gebaut, könnten bestehende Funktionsräume im Mies-van-der-Rohe-Bau weiter genutzt und Planungsverfahren abgekürzt werden. Dennoch rechnet das Bundesamt für Bauwesen mit zehn Jahren bis zur Eröffnung des Neubaus.

Der wäre dann schon für geschätzte 130 Millionen realisierbar. Mit 7400 Quadratmetern Ausstellungsfläche böte er Platz genug für die Werke der Nationalgalerie, ergänzt um die Sammlung Pietzsch sowie Werke, die bisher als Teil der Flick-Collection und der Sammlung Marx im Hamburger Bahnhof zu sehen sind. Dieses neue 130-Millionen-Projekt will Parzinger im Dezember dem Stiftungsrat vorlegen, eingebettet in eine Übersicht aller anderen Bauvorhaben. Nach den Bundestagswahlen wird im Stiftungsrat möglicherweise ein neuer Kulturstaatsminister den Vorsitz führen. Der jetzige Amtsinhaber Bernd Neumann begrüßte den Kurswechsel der Stiftung, er zeuge von „Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein“. Das neue Konzept sei eine gute Grundlage, „aber noch keine Entscheidung.“ Das letzte Wort haben die Haushälter im nächsten Bundestag, die der Stiftung entsprechende Mittel für ihre Bauvorhaben bewilligen müssen.

Dazu gehört auch die überfällige Sanierung des Mies-van-der-Rohe-Baus in den kommenden Jahren. Drohen Berlin also noch lange Jahre, in denen die Spitzenwerke von Dix, Beckmann und Grosz aus der Nationalgalerie weiterhin nicht zu sehen sein werden? Das will Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann verhindern, nennt aber noch keine möglichen Ausweichstandorte.

Er wünscht sich, dass auch die Gemäldegalerie vom künftigen Moderne-Museum auf der anderen Straßenseite profitiert. Deren Direktor Bernd Lindemann wirkt allerdings immer noch schockiert vom Kurswechsel seiner Kollegen. Lindemann hatte bereits vor zwanzig Jahren versucht, einen Neubau für die Alten Meister am Kulturforum zu verhindern und für die Museumsinsel als passenden Ort optiert. Damals konnte er sich nicht durchsetzen, jetzt ist die Korrektur der damaligen Fehlentscheidung zu teuer. Umso besser, wenn die Stiftung diesmal rechtzeitig auf die Einwände der Öffentlichkeit reagiert.

Zu den Ergebnissen der Machbarkeitsstudie:
http://hv.spk-berlin.de/deutsch/projekte/zukunft-museumslandschaft-uebersicht.php

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 22. August 2013

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