Donnerstag, 1. April 2021

Spolien der Kaiserzeit auf dem TU-Gelände. Entdeckungsreise mit einem Buch von Dorothea Zöbl

Borsigs Arkaden auf dem TU-Gelände


Von Michael Bienert. Viel altes Berlin kennt man nur von Postkarten, Zeichnungen, alten Fotos. Umso verblüffender, wenn dann plötzlich etwas dasteht, das völlig verschwunden schien. So ist es mir dieser Tage mit der Borsigschen Maschinenbaufabrik an der Chausseestraße gegangen und mit dem alten Berliner Dom im Lustgarten. Beides wurde in der Kaiserzeit abgerissen, um Platz für Neues zu schaffen. Doch zur selben Zeit plante Berlin einen neuen Wissenschaftscampus im Neuen Westen, in Charlottenburg, auf dem heutigen TU-Gelände. Als Anschauungsobjekt für den Architekturunterricht und das Fach Ornamentzeichnen wurden hinter dem neu errichteten Riesenbau der Technischen Hochschule zierliche Arkaden wiederaufgebaut, die dreißig Jahre den Eingangsbereich der Borsigschen Fabrik von der Straße getrennt und den Arbeitern in der Pausen Schutz vor Regen geboten hatten. Und auch eine elf Meter hohe ionische Säule des Schinkeldoms fand in der Nähe einen neuen Platz und diente fortan als Muster für angehende Architekten. 

Entdeckt habe ich die Spolien durch einen Zufall: In der Senatsbibliothek fiel mein Blick auf eine Neuerwerbung, Dorothea Zöbls „Der vergessene Garten der TU Berlin“ (Gebrüder Mann Verlag, 2019, 140 Seiten, 29,90 Euro). Ein wunderbar gelungener, hervorragend illustrierter Stadtteilführer, der die Augen für die historischen Schichtungen öffnet im Dreieck zwischen Ernst-Reuter-Platz, Straße des 17. Juni, Fasanen- und Hardenbergstraße. Bis in die 1950er-Jahre durchschnitt dieses Gelände die Kurfürstenallee, inzwischen zur Flanierstrecke umgewandelt, mit reizvollen Einblicken in die Bildhauerateliers der Universität der Künste und die kleine Fabrikstadt, die seit der Kaiserzeit die ehemalige Technische Hochschule mit Wärme und Strom versorgte. Zur Zeit ist man da fast ganz alleine, denn die TU-Institute sind wegen Corona für den Publikumsverkehr geschlossen. Der Campus aber ist weiterhin für Spaziergängerinnen und Spaziergänger zugänglich. 

Zöbls Buch ruft auch politische Geschichte in Erinnerung, etwa die Sitzungen des Deutschen Bundestages, der in den 1950er-Jahren im neusachlichen Physikgebäude tagte. Dort am Eingang erinnert immerhin eine Tafel an Ernst Ruska, nach dem der Bau heute benannt ist: Ruska erfand um 1934 Elektronenmikroskop und erhielt 1986 den Physiknobelpreis. Überhaupt wundert man sich, wie wenig Information zur Geschichte auf dem Campus zu finden ist. Dorothea Zöbls Buch geht von den Spolien aus und befragt diese Fundstücke detektivisch nach den komplexen historischen Zusammenhängen, in denen sie standen. Es ist ein großes berlinologisches Vergnügen, ihrer Recherche zu folgen. 

Zu den Verlagsinformationen über das Buch 

Montag, 29. März 2021

Bülowstraße 90 - ein neues Video und eine Dokumentation zu einem Haus mit bewegter Geschichte

Das Haus Bülowstraße 90 hat eine bewegte Vergangenheit: Es war Verlagshaus des S. Fischer Verlags, Sitz verschiedenster Firmen, es wohnten dort Rechtsanwälte, Malerinnen und Ärzte. In der NS-Zeit wurde es den jüdischen Besitzern abgepresst und vom Reichsmarineamt genutzt. Jetzt macht die Gewobag ein Labor für künftige Wohn- und Arbeitsformen aus dem Haus. In der neuesten Folge seiner Videokolumne "Fragen Sie mal..." unternimmt Michael Bienert einen Spaziergang durch das Gebäude und seine Geschichte: https://youtu.be/8Cqy87HJ9Lo 

Eine ausführliche Dokumentation zur Geschichte des Hauses steht hier kostenlos zum Download bereit: 

https://www.buelow90.berlin/wp-content/uploads/2020/10/Buelow_90_Dokumentation_Version4_oeffentlich_web.pdf






 

Mittwoch, 10. März 2021

Georg-Kolbe-Museum wieder geöffnet

Zu den Museen, die nach monatelanger Schließung wieder öffnen, gehört das Museum im ehemaligen Atelier des Bildhauers Georg Kolbe. In den späten 1920er-Jahren, der Bauzeit seines großzügigen Atelierhauses im Berliner Westend, befand Kolbe sich auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Erfolgs. Vertreten von den großen Galerien Cassirer und Flechtheim hatte er Käufer*innen auf der ganzen Welt und war in Berliner Künstlerkreisen bestens vernetzt. Nach dem frühen und unerwarteten Tod seiner Frau Benjamine sehnte er sich jedoch nach einem Rückzugs- und Schaffensort unweit ihres Grabes. So entstand die Sensburg, wie Kolbe selbst das kubische Backsteinensemble in der Sensburger Allee liebevoll nannte. Stadtnah und zugleich am Rande des Grunewalds gelegen, sollte die Architektur das fruchtbare Wechselspiel von Kunst, Natur und baulicher Form widerspiegeln, auf das der Künstler immer wieder gerne verwies. 

Die Ausstellung „Moderne und Refugium“ portraitiert Kolbes Sensburg im Spiegel ihrer reichen Geschichte. Von ersten Entwurfszeichnungen über die Bauphase bis hin zur privaten und schließlich öffentlichen Nutzung versammelt sie eine Vielzahl mitunter ungesehener Zeitdokumente, die den Künstler als einflussreichen und kreativen Bauherrn und zugleich in seinem privatesten Nukleus zeigen. Umgeben von Familie, Freundinnen und Freunden, sowie seinen Hunden und Katzen wird Kolbe als Mensch mit Facetten sichtbar, die bislang unter der öffentlichen Rolle und ihren Zuschreibungen verborgen blieben. Ein wesentlicher Teil der gezeigten Materialien entstammt dem Nachlass seiner Enkelin, der erstc 2020 nach Berlin kam und aktuell im Museum erschlossen wird. Die Ausstellung zur Geschichte des Hauses ist nur noch bis 11. April zu sehen!

Weitere Infos und Anmeldung: www.georg-kolbe-museum.de

Dienstag, 9. März 2021

Ein Erinnerungsort für das Romanische Café


Ein informativer Artikel über das Vorhaben, einen Erinnerungsort für das Romanische Café und den Kurfürstendamm als Künstlerinnen- und Intellektuellen der Moderne zu schaffen. Wir sind beratend tätig und haben das schöne Foto vom Romanischen Haus - heute steht dort das Europa-Center - aus unserem Archiv zur Verfügung gestellt.

https://www.gazette-berlin.de/artikel/1542-das-romanische-cafe-der-1920erjahre-und-sein-kulturelles-erbe.html

 

Samstag, 6. März 2021

Eine neue Gedenktafel für Erich Kästner

"An der Prager Straße 6-10 ... hängt ... eine Gedenktafel, die an Kästners Berliner Unterkunft erinnert. Doch Vorsicht! Zwei der Jahreszahlen auf der Tafel sind falsch", warnt Michael Bienert in seinem Buch "Kästners Berlin". In der 6. Auflage allerdings muss das revidiert werden, denn der Verein Aktives Museum hat sich dafür eingesetzt, dass die alte Tafel ausgetauscht wurde. Viel sichtbarer als bisher hängt sie seit ein paar Tagen unter dem Wandbild, das an das Cover des Romans "Emil und die Detektive" erinnert. Sehr passend, denn im Haus befindet sich eine Kita. Die neue Tafel gibt die Adresse und den Standort von Kästner Wohnung genau an, der Zeitpunkt seines Auszuges und das Erscheinungsjahr von "Emil und die Detektive" wurden korrigiert. Zwei Fotos von Heike Stange zeigen die erneuerte Tafel im März 2021 am neuen Standort, das Foto mit der Hausnummer 6 zeigt den alten Zustand und stammt aus dem Jahr 2020 (Archiv Michael Bienert)




 

Mittwoch, 28. Oktober 2020

Hexenhäuschen am Chamissoplatz

  

Ein Streifzug mit Michael Bienert durch das Mietskasernenviertel rund um den Chamissoplatz.

Mittwoch, 14. Oktober 2020

Das kunstseidene Berlin (2020, Making-of)

 

Mit der Kamera begleitet Leon Buchholz den Autor Michael Bienert in den letzten Tagen vor der Drucklegung seines neuen Buches "Das kunstseidene Berlin". Der Buchgestalter Ralph Gabriel und der Verleger André Förster sprechen über das Besondere der Buchreihe "Literarische Schauplätze", in der bereits Bücher über Erich Kästner, Bertolt Brecht, Alfred Döblin und E. T. A. Hoffmann erschienen sind. Nun folgt der Literaturdetektiv Michael Bienert in "Das kunstseidene Berlin" erstmals einer schreibenden Frau und ihren Figuren durch die Stadt. Neben den Schauplätzen des Romans "Das kunstseidene Mädchen" (1932) kommen viele unbekannte Berliner Orte in den Blick, die im Leben der Schriftstellerin Irmgard Keun (1905-1982) eine Rolle gespielt haben. 

Michael Bienert: Das kunstseidene Berlin. Irmgard Keuns literarische Schauplätze, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2020, 200 Seiten, 208 Abbildungen, 25 Euro 
 
Das Buch erscheint am 29. Oktober 2020. 
 

Mittwoch, 23. September 2020

Das kunstseidene Berlin. Irmgard Keuns literarische Schauplätze. Buch, Lesung, Stadtspaziergänge

Mit Romanen über junge, selbstbewusste Frauen, die in der Gesellschaft der Weimarer Republik ihren Weg suchen, machte Irmgard Keun im Berlin der Weltwirtschaftskrise Furore. Die Nationalsozialisten verboten ihre Bücher und vertrieben sie ins Exil. Heute zählt Das kunstseidene Mädchen zu den Klassikern der Berlin-Literatur. Mit großem Sprachwitz schildert der Roman die Odyssee der minderjährigen Doris durch Bars und Betten, Mietskasernen und Luxuswohnungen, Kinos und Bahnhofswartesäle.
Michael Bienerts neues Buch Das kunstseidene Berlin stellt erstmals alle Schauplätze mit Fotos, Adressen und Dokumenten vor. In den Blick kommen auch die Kindheitsorte Irmgard Keuns, die in Charlottenburg geboren wurde und in Wilmersdorf zur Schule ging, ehe die Familie nach Köln umzog. Erzählt wird, wie Keun 1931 in Berlin einen Verlag fand, wie sie sich 1933 in einen „nichtarischen“ Charité-Arzt verliebte und versuchte, als unerwünschte Autorin im nationalsozialistischen Deutschland zu überleben. Unbekannte Briefe und Dokumente aus Archiven beleuchten ihre damalige Schreibsituation und ihre Kontakte nach Ost-Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Entdeckungsreise auf den Spuren einer herausragenden Autorin der Moderne streift das Berlin der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, der NS-Zeit, der frühen DDR-Jahre – und verliert die Gegenwart nie aus dem Blick. 

Das Buch erscheint Ende Oktober 2020. Weitere Infos und alle Veranstaltungstermine unter http://www.text-der-stadt.de/Das_kunstseidene_Berlin.html

Freitag, 24. Juli 2020

Berlin Alexanderplatz - Roman und Neuverfilmung

Wie sieht Berlin aus der Perspektive eines An-den-Rand-Gedrängten aus, wie fühlt es sich an, nicht in der Mitte der Gesellschaft ankommen zu können? Davon erzählt die Neuverfilmung von Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“, die in der Gegenwart spielt, aber der Geschichte von Franz Biberkopf treu bleibt. 

Von Michael Bienert. Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ macht es heutigen Leserinnen und Leser nicht leicht. In der literarisch inszenierten Vielstimmigkeit der Großstadt der Zwanzigerjahre die Übersicht zu behalten, ist schon schwer genug. Die Geschichte des Kleinkriminellen und Zuhälters Franz Biberkopf droht darin zu zerfasern. Dabei ist sie sehr exakt im damaligen Milieu und der Topographie um den Alexanderplatz verankert, ja man kann Biberkopfs Wegen sogar nachgehen. Doch der Charakter der Gegend und ihrer Bewohner hat sich völlig verändert: War das Scheunenviertel einst Synonym für Armut, Kriminalität, Prostitution, so ist es heute nur noch eine pittoreske Altstadtkulisse für Touristen, Nachtschwärmer und wohlhabende Besitzer von Eigentumswohnungen. 

Unvertraut sind uns auch die (natur-)philosophischen Reflexionen Döblins, die in der Geschichte von Franz Biberkopf mitschwingen, sozusagen ihr metaphysischer Überbau. (Döblin hätte eher vom Unterbau gesprochen.) Die Interpretationen des vielschichtigen Romans gehen weit auseinander und vielfach laufen sie darauf hinaus, das ausufernde Werk in Teilen für genial, in anderen für unverständlich, verblasen, uninteressant oder kolportagehaft zu erklären. Die Komplexität eines 90 Jahre alten Avantgarde-Romans, der in einer verschwundenen Stadt in einem ausgelöschten Milieu spielt, ist nicht verfilmbar, das haben der Regisseur Burhan Qurbani und sein Co-Drehbuchautor Martin Behnke erkannt. Sie haben eine klare Konsequenz daraus gezogen. Der Film konzentriert sich voll und ganz darauf, die Geschichte von Franz Biberkopf in unsere Gegenwart zu übersetzen. Anders als der sperrige Roman kommt die Verfilmung dem Publikum weit entgegen: mit einer Handlung, die im heutigen Berlin spielt, mit einem farbigen Francis B., der sich als illegaler Einwanderer aus Afrika in der Unterwelt Berlins durchschlägt, mit einer schlanken Dramaturgie und streckenweisen opulenten Filmästhetik. 

Aber der Film verrät die Vorlage damit nicht, im Gegenteil. Zwar bleibt die Komplexität der großen Stadt, von der Döblins Stadtsprachencollage erzählt, außen vor. Dafür wird die Geschichte von Franz Biberkopf hier überraschend durchsichtig – auch auf Intentionen des Autors hin. Döblin wollte den Blick des bürgerlichen Lesepublikums auf einen Mann vom Rand der Gesellschaft lenken, der dazu gehören möchte: „Ick will anständig sein.“ Der aus der Haftanstalt Tegel entlassene Biberkopf wird von dem Milieu, aus dem er stammt, sofort wieder aufgesogen, rutscht in die Kriminalität ab. Im Film schwört der dem Tod im Mittelmeer entkommene Francis, fortan gut zu sein, er scheitert mit diesem Vorsatz jedoch immer wieder in Milieus, in denen das Gesetz des Stärkeren und gnadenlose Ausbeutung herrschen. Was für den alten Franz Biberkopf das Scheunenviertel war, wird für den neuen das Drogendealermilieu in der Hasenheide. Es fängt ihn auf, als er seinen ersten Job als illegaler Arbeiter auf einer Berliner U-Bahn-Baustelle verliert, nachdem er einen verletzten Kollegen in ärztliche Behandlung gegeben hat, statt den Unfall zu vertuschen.

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